Leseproben
 
POTSDAMER AFFÄRE.
 
Berlin schlief oder war kurz vor dem Erwachen. Nur die Nachtbars führten ihr eigenes, dämmriges Halbweltleben. Die meisten Gebäude der Stadt lagen im Finstern, so auch die zahlreichen Häuser und Bauten im Regierungsviertel der Reichshauptstadt. Doch in einem Zimmer des Kriegsministeriums in der Wilhelmstraße brannte in diesen frühen Morgenstunden ein einsames Licht. Ein älterer Offizier, seinem Dienstgrad nach ein Oberst, saß über einen Stapel Akten gebeugt am Schreibtisch seines Büros. Die Tischlampe warf gelbliches Licht auf die Papiere, ab und zu blätterte der Lesende eine der Seiten um. Während er las, wurde im Erdgeschoss das Fenster eines Wirtschaftsraumes aufgestoßen und eine schwarz gekleidete Gestalt, deren Gesicht durch eine Maske verdeckt war, zwängte sich, ohne dass ein Laut zu hören war, durch die schmale Öffnung ins Innere.
Der Oberst legte die Akte zur Seite und griff zu einer zweiten, die er aufschlug. Unten im Haus erreichte der Eindringling das Treppenhaus und stieg auf dicken Gummisohlen nahezu lautlos nach oben. Während die Gestalt hinaufschlich, überschlugen sich ihre Gedanken. Bilder stiegen auf und verschwanden. Bilder der Wut und des Zorns. Im Wachlokal am Haupteingang des Ministeriums erhob sich gähnend ein Soldat; es war Zeit für einen Rundgang. Auf der Straße rumpelte in der Ferne ein Milchwagen. Der Oberst machte sich eine Notiz in ein schwarzes Büchlein, zog die Schublade des Schreibtisches auf und legte die gelesenen Akten zurück. Gleichzeitig entnahm er einen weiteren Ordner. Der Einbrecher hatte jetzt das Stockwerk erreicht, in dem das Zimmer des Obersts lag. Er hielt kurz inne, atmete tief ein und aus. Der Hass musste abkühlen, musste in die kühle Tat münden. Unten nahm der Wachsoldat seine Blendlampe und machte sich auf den vorgeschriebenen Kontrollgang; es war 4.45 Uhr. Im zweiten Stock schlich die Gestalt leise durch den lichtlosen Korridor, bis sie das Büro des Obersts erreichte. Der Unbekannte hob den Kopf und lauschte ins Dunkle, zwang sich zur völligen Ruhe. Dann griff seine Hand zur Türklinke und drückte diese vorsichtig nieder. Der Offizier an seinem Schreibtisch war derart auf sein Tun konzentriert, dass er nicht merkte, wie die Tür des Zimmers sich öffnete und jemand ohne einen Laut hineinschlüpfte. Erst als ein Luftzug die Papiere bewegte, blickte er von seiner Akte auf. »Wer sind Sie, was wollen Sie hier?«, stieß er überrascht hervor und wollte aufstehen. Statt einer Antwort zog die dunkle Gestalt einen Revolver hervor, zielte auf den Sitzenden und schoss. Auf der Stirn des Obersts bildete sich ein Wundmal. Er sackte ohne ein Wort in sich zusammen. Blut floss in schweren Tropfen aus der Wunde auf die Schreibfläche und formte eine dunkle Pfütze.

Operation Mauerfall
 
Bedingt abwehrbereit!
»Die Deutschen sind für die NATO lebensnotwendig. Das ist geographisch, psychologisch und auf andere Weise begründet.« John Galvin, US-General.
Mittwoch, 10. Oktober 1962
Der Morgen war kühl, und ein frischer Wind wehte in den Straßen. Achim Holthus schlug den Kragen seines Mantels hoch, um vor der Kälte etwas geschützter zu sein. Rasch ging er zum nächsten Zeitungskiosk und kaufte wie jede Woche den neuen Spiegel. Auf dem Cover des Hamburger Magazins prangte das Konterfei des Generalinspektors der Bundeswehr Foertsch. Der ehemalige Heeresgruppenchef sah auf diesem Bild ziemlich grimmig drein. Holthus schlug das Heft auf und blätterte zum Leitartikel auf der Seite 32, er begann zu lesen.
Der Kanzler verließ seine Hauptstadt Bonn. Wie der Führer zu Beginn des Westfeldzuges am 10. Mai 1940 frühmorgens bezog er einen Befehlsbunker in der Eifel. Den Kanzler begleiteten die Herren des Bundesverteidigungsrates und die Führungsstaffeln der Bundeswehr. Es war höchste Kriegsgefahr: Das Manöver »Fallex 62« (Herbstübung 1962), eine Stabsrahmenübung der NATO, ging aus der Phase der »Spannungszeit« in die des »Verteidigungsfalles« über. Der europäische NATO-Oberbefehlshaber, US-General Norstad, hatte »General Alert« gegeben, nachdem westliche Vorposten angegriffen worden waren …
Als er die Lektüre des Artikels beendet hatte, schüttelte der junge Mann bedenklich den Kopf. »Bedingt abwehrbereit!«; der Spiegel mochte mit seiner Darstellung recht haben, das Magazin war für seine exakten Recherchen bekannt und für seine Polemik berüchtigt. Aber so ein Artikel, der gnadenlos die eigenen Schwächen analysierte, lud den Osten geradezu zu einem sofortigen Angriff ein. Bei aller journalistischen Freiheit, diese Art von Offenheit grenzte fast an Verrat und schadete auf jeden Fall der politischen Stabilität. Holthus war gespannt, was seine Kollegin Brigitte und die Freunde zu dem Artikel sagen würden. Er zündete sich eine Zigarette an und machte sich auf den Weg in sein Zeitungsbüro in der Kochstraße. Holthus war selbst vom Fach. Der Achtundzwanzigjährige arbeitete in der Frontstadt Berlin für eine Frankfurter Tageszeitung, war aber auch als freier Journalist und Fotoreporter tätig. Was keiner seiner Kollegen ahnte, geschweige wusste: Der große sportliche Mann gehörte dem Bundesnachrichtendienst an. Ein Onkel von ihm hatte den studierten Politologen nach dessen Abschluss mit summa cum laude nach München eingeladen und dann wie von ungefähr den Kontakt mit dem BND in Pullach hergestellt. Seine liberale politische Grundhaltung störte dort niemanden und schien überraschenderweise sogar förderlich zu sein, zumal Holthus in nationalen Fragen konservativ dachte und agierte. Ihn faszinierte seine neue Aufgabe, die ihn direkt zum Brennpunkt des Ost-West-Konfliktes nach Berlin führte.
 
Das geraubte Halsband der Franziska von Hohenheim
 
Der nächtliche Wintersturm heulte um die Mauern des einsamen Bergschlosses. Finster schien es und verlassen, nur aus zwei Fenstern im ersten Stock des Hauptgebäudes fiel ein karger Schimmer. Dort befand sich ein düsterer, großer Saal, in dessen Mitte ein mächtiger Leuchter stand. Die Flammen seiner sieben Kerzen verbreiteten einen diffusen Schein, der sich mit dem gelbrötlichen Flackern des matten Kaminfeuers zu einem ungewissen Licht verdichtete. Alles Übrige lag im Schatten; das schwere Eibenholz der Wände und der schwarze Samt der Vorhänge ließen den Rest des Raumes fast völlig in Dunkelheit versinken. Ein breiter Eichentisch stand nahe dem Kamin. An ihm befanden sich vier Personen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Den Vorsitz hatte ein hochgewachsener, mächtig wirkender Mann von etwa fünfzig Jahren, dessen ausgeprägtes Kinn große Kraft und Energie verriet, ein Eindruck, der durch durch seinen durchdringenden Blick und die scharfen Gesichtszüge noch verstärkt wurde. Rechts neben ihm saß eine schöne schlanke Dame in kostbarer Kleidung, deren schwarzes Haar mit silberfarbenen Bändern durchflochten war. Um ihren vollen Mund lag ein eigenartiger Hauch von Melancholie. Ihr zur Seite befand sich ein schwarz gekleideter junger Mann von Mitte zwanzig, dem die scharfe Nase und die stechenden Augen ein fast raubvogelartiges Aussehen verliehen Der letzte in der Runde war etwas älter als jener Mann. Sein Gesicht war bleich und von ungesunder Farbe und über die Stirn zog sich eine Narbe wie von einem Degenhieb. Seine Kleidung glich der italienischer Briganten. 
„Freunde“, begann eben der Älteste der Runde. „Ich habe Euch hierher gebeten, da die Zeit reif ist, unsere Pläne wirklich werden zu lassen. Doch was wir vorhaben, birgt viele Gefahren und Ihr müsst bereit sein, notfalls Euer Leben zu wagen. Wer dies nicht möchte und will, der soll es sagen, und er kann frei und ungehindert von dannen ziehen“
„Lasst uns erst einmal wissen, was es für eine Kasse gibt, Graf“, rief der Raubvogelartige hitzig. „Nicht, dass wieder  die Baronesse von …“
„Still, keine Namen“, unterbrach ihn der mit „Graf“ Angesprochene. „Sonst braucht Ihr nur zu wissen, dass die Bezahlung unseren Mühen voll und ganz entsprechen wird.“
„Nein“, erwiderte der Mann und schüttelte den Kopf. „Das ist mir zu ungenau. Ich muss wissen, für welche Summe ich mein Leben riskiere und wie geteilt wird.“
„Mehr kann und werde ich Euch nicht sagen.“
Dann bin ich so frei, nehme Euer Angebot an und gehe. Morgen früh mit dem ersten Licht breche ich auf.“
„Ganz wie Ihr es wünscht“, antwortete der Graf ruhig.
„Trinkt noch einen Becher Wein mit mir, bevor Ihr geht“, sprach jetzt die Dame, wobei sie nach einem Krug, der nebst Bechern auf dem Tisch stand, griff. „Ihr sollt sehen, dass ich durchaus zu teilen verstehe!“
Sie goss einen tiefroten Wein aus dem Krug in zwei der Silberbecher, nahm einen der Becher in die Hand und stellte den anderen direkt vor den Mann. Dieser schob ihn mit einem Grinsen zurück und griff nach ihrem Becher.
„Lasst uns tauschen, mein Fräulein, ich bin gern vorsichtig, nichts für ungut.“
Die schöne Dame lächelte kalt und tat einen herzhaften Schluck. Der Mann tat es ihr gleich und leerte seinen Becher bis auf den Grund.
„Wahrhaftig, ein guter Tropfen. Ich danke!“ Er erhob sich, verbeugte sich und schritt zur Tür.
Der Bleiche, die Hand schon am Dolch, wollte dem Mann  folgen, doch ein Blick des Grafen hielt ihn zurück. Der Vogelgesichtige fasste nach der Klinke – und hielt in der Bewegung inne. Stöhnend griff er an seine Brust, taumelte und stürzte ohne einen weiteren Laut zu Boden, wo er reglos liegen blieb.
Der Graf, der schweigend das schreckliche Geschehen verfolgt hatte, wandte sich nun lächelnd der Dame zu: „Eure Kunst, mein Fräulein, ist nach wie vor bewundernswert und Eure Fingerfertigkeit bleibt unübertroffen. Ich lasse unseren ‚Gast‘ entfernen, dann werde ich Euch ausführlich berichten, was ich aus Paris und Potsdam mitgebracht und was wir vorhaben.“













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